Ein Gespräch über den Internetforscher Joseph Weizenbaum mit
Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer, Geschäftsführender Direktor am Berlin Career College sowie Marketing-Experte und Informatiker

Joseph Weizenbaum hätte am 8. Januar 2023 seinen 100. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass berichtet Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer über die Verbindungen zu ihm und der UdK Berlin. Weizenbaum war ein deutsch-amerikanischer Informatiker und Gesellschaftskritiker.  Von 1963 bis zur Emeritierung lehrte er als Professor am „Massachusetts Institute of Technology“ und bezeichnete sich selbst als „Ketzer der Informatik“.

Du bist selbst Internetforscher und kennst Joseph Weizenbaum gut und persönlich über die Zeit, als er wissenschaftlicher Beirat des Institute of Electronic Business war. Wie sah Eure Zusammenarbeit aus?

Thomas Schildhauer: Als Informatiker hatte ich schon während des Studiums viel von Joseph Weizenbaum gehört – er war damals schon am Massachusetts Institute of Technology tätig und hat dort gelehrt. Und es gab Seminare, die sich „Computer und Gesellschaft“ nannten. In diesem Rahmen haben wir uns dann auch mit seinen Büchern beschäftigt und mit den Themen, die seine Hauptrichtung waren. Irgendwann sprach mich dann ein Vorstand des IEB an mit der Idee, Joseph Weizenbaum einmal an unser Institut einzuladen. Er wollte damals wieder nach Deutschland (Berlin) zurückkehren, nachdem er mit seiner Familie in der Nazizeit in die USA fliehen musste. Wir fragten ihn dann, ob er Interesse hätte, uns bei der Gründung eines neuen Forschungsbereichs zu begleiten mit seiner Erfahrung und Expertise – und mit seiner durchaus kritischen Sicht. Nach einer ersten Zurückhaltung, gab er uns eine Zusage für den Fall, dass wir mit seinen kritischen Bemerkungen leben könnten. Wir haben uns dann in regelmäßigen Abständen mit ihm ausgetauscht und abgestimmt. Hinzu kam, dass Joseph Weizenbaum nach Wilmersdorf gezogen ist. Dort ist unser Büro am Berlin Career College und auch mein Elternhaus befindet sich in der Bundesallee. Mein Vater lebte zu der Zeit noch und wir haben uns samstags oft auf dem Wochenmarkt am Hohenzollernplatz getroffen, haben gemeinsam Kaffee getrunken in Verbindung mit sehr interessanten Gesprächen. Es gab daher sowohl auf der fachlichen als auch auf der freundschaftlichen Ebene eine sehr gute Verbindung.

Joseph Weizenbaum (2.v.r.) neben Thomas Schildhauer (1.v.r.) am Institute of Electronic Business © privat

Du hast mit Joseph Weizenbaum gemeinsam das Weizenbaum-Stipendium für den Masterstudiengang Leadership in digitaler Kommunikation (heute Innovation) ins Leben gerufen. Wie kam das zustande? Und wie kann man sich auf das Stipendium bewerben?

Thomas Schildhauer: Während wir in der Bologna-Reform-Zeit den Diplom-Studiengang in einen Masterstudiengang umgewandelt haben, war Joseph Weizenbaum bereits Vorsitzender unseres wissenschaftlichen Beirats. Ich habe ihn dann angesprochen mit dem Hinweis darauf, dass die Studierenden den neuen Studiengang bezahlen müssen. Und als UdK Berlin wollten wir gern begabten Interessant*innen und Student*innen die Möglichkeit geben, ein Stipendium zu erlangen. Ich fragte ihn, ob wir das Stipendium nach ihm benennen dürften mit dem Angebot, dass er selbst die Stipendiat*innen auswählen dürfe. Das nahm er gern an: die Bewerber*innen haben dann mit ihm die Interviews geführt und Joseph Weizenbaum hat persönlich über die Stipendienvergabe entschieden. Nach seinem Tod haben wir das Stipendium dann in seinem Gedenken und in seiner Ausrichtung am Leben erhalten. Heute noch vergeben wir das Stipendium an junge Talente, die Interesse haben, sich mit seiner Forschungs- und gesellschaftlichen Ausrichtung beschäftigen und auf der anderen Seite auch in seinem Sinne während des Studiums und später in der Arbeit unterwegs sein könnten.

Welche weiteren Verbindungen gab es zu Joseph Weizenbaum und der UdK Berlin?

Thomas Schildhauer: Ich habe Joseph Weizenbaum überzeugen können, eine Eröffnungs-Vorlesung für den Studiengang „Electronic Business“ zu halten. Die Eröffnung fand im Medienhaus der UdK Berlin in der Grunewaldstr. statt und ich erinnere mich noch sehr gut an den Eröffnungsvortrag dort. In bewährter Weise sagte er auf seine ganz typische Art: „Alle sprechen davon, dass jetzt mehr Lehre und Ausbildung – auch schon in den Grundschulen – zum Thema Computertechnologie erfolgen müsse. Aber hört bitte auf mit dem Quatsch! Bringt den Kindern und jungen Menschen bei zu denken und kritisch zu sein! Warum wollt Ihr ihnen beibringen Excel-Tabellen aufzubauen und dafür wertvolle Zeit verwenden. Überlegt Euch, was ihr dafür aus dem Lehrstoff herausnehmen müsstet – bitte tut das nicht! Denn wenn man einmal verstanden hat richtig zu denken, dann kann man sich den Umgang mit den dann aktuellen Tools auch noch später aneignen.“ – Und natürlich hatte er damit Recht.

Das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft – das Deutsche Internet Institut wurde 2017 in Berlin gegründet – ein Verbundprojekt mit der Universität der Künste Berlin u.a. Du als Principal Investigator der Forschungsgruppe „Datenbasierte Geschäftsmodellinnovationen“ warst dort intensiv beschäftigt, warst für die UdK Berlin Konsortialprojektleiter und federführend am Förderantrag beteiligt. Kannst Du etwas zu der Namensfindung und zur Gründung dieses wichtigen Instituts berichten?

Thomas Schildhauer: Es war eine sehr große und historische Chance, dass wir hier in Berlin/Brandenburg zusammen ein so großes Konsortium aufstellen konnten. Es gelang uns, die Berliner Universitäten und die Universität Potsdam, das Fraunhofer Institut Fokus und das Wissenschaftszentrum Berlin zusammenzuführen. Wir haben dann lange über die Benennung des Instituts nachgedacht. Als Institut für die vernetzte Gesellschaft lag es dann Nahe, Verbindungen zu Weizenbaum abzuleiten. Wir wollten einen Namenspatron bzw. eine Namenspatronin finden, der/die das Ganze symbolisieren und auch für sich selbst schon mit einer bestimmten Botschaft stehen kann. Und da ich Joseph Weizenbaum gut kannte und auch wusste, wie reflektiv er mit der Frage „Wie wirkt sich die Computertechnologie auf die Gesellschaft aus?“ umging und immer wieder kritisch beleuchtete, was Computer eigentlich mit uns Menschen machen, schlug ich dann Weizenbaum vor. Wir haben uns dann relativ schnell auf diesen Namen einigen können. Ganz einfach in der Umsetzung war es nicht, denn er war ja dann ein nicht mehr lebender Namenspatron – und der Kontakt zur Familie lag bei einem wissenschaftlichen Kollegen, der das Namensrecht „Weizenbaum-Institut“ privat bis zur Namensmarkenübergabe inne hatte. Aber nach langen Verhandlungen haben wir es dann geschafft, den Namen hier für uns einsetzen zu können und zu dürfen. – Und bis heute passt der Name sehr gut! Die Mitarbeiter*innen am Institut beschäftigen sich sehr intensiv mit der Arbeit und der Sicht Joseph Weizenbaums.

Was sind die relevantesten Arbeiten von Joseph Weizenbaum? Da wäre sicher das von ihm entwickelte Computerprogramm ELIZA zu nennen und die Beschäftigung mit Auswirkungen der Computertechnologie. Kannst Du dazu etwas sagen – und auch die Frage beantworten: warum sollte man Joseph Weizenbaum in Ehren halten?

Thomas Schildhauer: Zu seinen relevantesten und bekanntesten Arbeiten zählt natürlich ELIZA – und letztlich auch sein Buch „Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“. Weizenbaums Andenken in Ehren zu halten ist auch Verbunden mit den Fragen unserer Zeit: wie stark entwickelt sich die Künstliche Intelligenz („KI“) und was ist daran kritisch zu betrachten? Ich selbst bin sehr vorsichtig mit diesem Begriff, setze ihn im Schriftlichen meistens in Anführungszeichen. Und wenn ich darüber spreche, dann rede ich meistens vom „maschinellen Lernen“. Joseph Weizenbaum wollte auch mit ELIZA zeigen, dass Menschen ein Computerprogramm durch ein Frage-Antwort-System personalisiert und emotionalisiert betrachten können. Das Programm wirkte manipulativ und Joseph Weizenbaum sah darin eine Gefahr. Eine seiner Hauptbotschaften, die daraus folgte war: „Passt auf! Sprecht den Computerprogrammen nicht zu viel Relevanz zu!“ In der 80er Jahren kam dann die erste „KI“-Bewegung auf, durch die man dachte, man bräuchte keine Expert*innen mehr – sondern die Computersysteme seien stattdessen in der Lage diese zu ersetzen. Allerdings stellte sich dann auch heraus, dass die Technologie noch nicht soweit war. Und jetzt leben wir in einer Zeit, in der wir über ChatGPT und andere Dinge plötzlich sehen, dass sich die Schnittstellen verbessern. Es werden Milliarden von Datenpunkten gesammelt, aus denen heraus dann wiederum suggeriert wird, es stecke ein intelligentes System dahinter. Aber nach wie vor ist es ein Algorithmus, der auf eine gewisse Weise programmiert ist und Daten untereinander- durchaus smart – verbindet. Die Entwicklung schreitet voran – und umso wichtiger ist es, auch im Sinne von Joseph Weizenbaum, sich kritisch mit diesen Fragen auseinanderzusetzen! Seine kritische Denkschule ist heute aktueller denn je.

Kannst Du noch ein paar Anekdoten aus Eurer gemeinsamen Zeit berichten? Woran hatte der Internetforscher eine besondere Freude?

Thomas Schildhauer: Joseph Weizenbaum war ja sehr stark amerikanisch sozialisiert und war ein begnadeter Geschichten-Erzähler. Er hat immer viele Stories erzählt aus Zeiten, in denen er selbst Software-Entwickler war und sprach von „Unternehmenschefs, die mir ihre Probleme auf den Tisch legten – und wir haben dann bspw. die ersten Bankensysteme entwickelt, die heute immer noch im Hintergrund laufen. Und wenn ich Geld abhebe, dann denke ich immer noch an unsere System-Entwicklungen“.
Manchmal, bereits im hohen Alter, zückte er auch eins der ersten sogenannten „Smartphones“ – Endgeräte, die mit einem Stift zu betätigen waren – und brachte es an die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Und wenn es dann nicht richtig funktionierte, sagte er „neulich habe ich die Hotline angerufen und die Service-Techniker in die Mangel genommen und diskutierte mit dem Support über den Sinn und Unsinn dieser Geräte.“ – Joseph Weizenbaum war ein richtiger Pionier seiner Zeit und berichtete viel davon. Das brachte mich persönlich dann immer wieder auch zurück zu den Anfängen der Computertechnologie. Gleichzeitig war er bis zu seinem Lebensende immer kritisch auf dem neuesten Stand der Entwicklungen – die reflektierten Gespräche mit ihm sind mir in besonderer Erinnerung geblieben und wirken bis heute in meine wissenschaftliche Arbeit hinein.

Vielen Dank für das Gespräch!

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