Berlin Summer University of the Arts 2021
Blick “hinter die Kulissen”: Gespräch mit Evelyn Sitter und Justina Monceviciute, Workshopleiterinnen von “Textile Surfaces – Threads of Camille 5”

Wir trafen Justina Monceviciute und Evelyn Sitter zum Gespräch in ihrem Studio in Berlin Schöneberg, nahe des Gleisdreieckparks. Gemeinsam sprachen wir über die Inhalte ihres Workshops Textile Surfaces – Threads of Camille 5, den sie in diesem Jahr erstmals im Rahmen der Berlin Summer University of the Arts veranstalten. Außerdem erzählten die beiden Künstler*innen von ihrem bisherigen beruflichen Werdegang und gemeinsamen Projekten.

Das Gespräch wirft einen Blick hinter die Kulissen des Alltags an der Universität der Künste Berlin und zeigt, wie die verschiedenen Institute und Fachgebiete miteinander verwoben sind.

Studio Evelyn Sitter und Justina Monceviciute © Evelyn Sitter

Vielen Dank für die Einladung. Fangen wir direkt an: Wer seid ihr und was macht ihr?

Evelyn Sitter: Ich habe Mode an der Universität der Künste Berlin studiert und 2013 das Studium abgeschlossen. Dann habe ich u.a. in Luxusfirmen gearbeitet, um Stoffe zu entwickeln, in Paris und Berlin. 2016 begann ich an der UdK Berlin zu lehren. Mein Schwerpunkt am Institut für experimentelles Bekleidungs- und Textildesign liegt in der Begleitung von Modeprojekten der Bachelor- und Masterstudierenden. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt im experimentellen textilen Gestalten. Ich bin auch die Ansprechpartnerin von unserer Weberei-Werkstatt. Seit drei Jahren gebe ich dort Textilkurse und stelle Fragen zu Genderkonstruktionen und dem textilen Arbeiten. Neben der Lehre arbeite ich hier im Studio immer an unterschiedliche Projekten. Ich webe an einem Kontermarschwebstuhl, der ohne Strom funktioniert, bei dem mein Körper der Generator ist. Die Objekte, die daraus entstehen, sind eine Art Forschung. Für eine Recherchearbeit habe ich beispielsweise gefundene Kleidungsstücke in Berlin gesammelt, die ich anschließend in Textilien umgesetzt habe. Manchmal arbeite ich auch im Auftrag, alleine oder in Kollaboration. Der letzte gemeinsame Auftrag war mit Justina und zwei anderen Kolleginnen aus dem Studio. Wir entwickelten eine textile Installation fürs Bauhaus Archiv, für die Original Bauhaus Ausstellung. Gemeinsam mit dem Blindenverein haben wir eine Installation zum Archiv der Weber*innen gebaut, um das Archiv, das hinter Glas gezeigt wurde, auch taktil erleben zu können.

Justina Monceviciute: Ich habe in Berlin studiert, an der Kunsthochschule Weißensee im Studiengang Textil- und Flächendesign. Dort habe ich meinen Bachelor und meinen Master abgeschlossen. Jetzt bin ich freiberufliche Dozentin an der UdK Berlin und unterrichte Textiltechnologie für Modestudent*innen. Gleiches unterrichte ich auch an der AMD (Akademie Mode und Design, Standort Berlin) und an der HWR (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin). Ich beschäftige mich hauptsächlich mit meinem Projekt, bei dem ich Keramik mit Textil verknüpfe.

Wie ist diese Idee entstanden?

Justina Monceviciute: Eine längere, persönliche Geschichte.  Meine Eltern haben sich das Arbeiten mit Keramik in den frühen 1990er Jahren selbst beigebracht. Als Kind habe ich mit Ton gespielt und Objekte modelliert. So ist Keramik ein vertrautes Material für mich geworden. Meine Eltern stellen immer noch Kunsthandwerk her. Für mich war zunächst klar, dass ich nicht mit Keramik arbeiten möchte. Ich habe erst Malerei studiert. Für mein Masterprojekt bin ich ganz natürlich zur Keramik zurückgekehrt. Ich wollte flexible, textile Flächen mit harten Materialien gestalten, um damit die Züge aus den Bereichen Textil, Kunst und Architektur zu verbinden.

Wie würdest du deine heutigen Arbeiten beschreiben?

Justina Monceviciute: Meine skulpturalen Arbeiten verkörpern die Idee der Hybridität; sie sind aus sich wiederholenden Keramikfragmenten zusammengesetzt, die akribisch zu geometrischen Rastern und Mustern angeordnet sind. Paradoxerweise haben die vollendeten Objekte keine festen Körper: mit jeder Bewegung kann ihre mathematische Ordnung leicht gebrochen werden, wodurch unzählige Variationen in unregelmäßigen Formen und Volumen entstehen. Ich fertige meine Keramikobjekte manuell und entwickle sie in Serien.

Es passiert auch, dass man nicht direkt erkennt, ob es sich um Keramik, Beton oder Plastik handelt. Je nachdem, wie ich das Material behandle.

Woher kommt die Idee Kunst und Design zu verbinden?

Justina Monceviciute: Evelyn und ich sprechen oft über diese Verbindung und auch darüber, wie andere unsere Arbeiten sehen. Ich bin ausgebildete Designerin und bediene mich bestimmter Methoden, die ich aus meinem Designstudium kenne. Aber meine Objekte haben keine Anwendung im klassischen Design-Sinn. Ich mag es, mit meinen Händen und dem Material zu arbeiten. Ich bin glücklich, die Freiheit zu haben, meine eigenen Herausforderungen und Fragen in der Arbeit zu stellen. Jede Serie ist anders, aber man kann die Entwicklung und die wechselnden Fragen in ihnen sehen. Ich mag es nicht, in eine Nische gezwungen zu werden. Ich wehre mich gerne dagegen. Letztendlich liegt es im Auge der betrachtenden Person. Wenn es jemand als Kunst sieht, ist es Kunst. Wenn es als Design definiert wird, dann ist es das. Ich versuche mich von solchen Begriffen frei zu machen.

Evelyn Sitter: Ich habe immer gerne gewebt. Im Studium habe ich das gelernt. Auch die Textilien für meine Kollektionen habe ich gewebt. Im Anschluss arbeitete ich auch ganz angewandt, um Textilien für Modedesign zu entwickeln. Später habe ich den Webstuhl als eine Art von Therapieinstrument kennengelernt, um mich von dieser erschöpfenden Zeit in der Modeindustrie zu erholen. Das Handweben genieße ich sehr. Es braucht viel Zeit und erscheint fast luxuriös. Ich bin stark daran interessiert, Themen und Fragestellungen in den Textilien zu integrieren oder Fragen mit den Stoffen zu bearbeiten. Das ist etwas, was vielleicht weniger in eine Design-Anwendung passt. Das freie Arbeiten ist etwas, was wir beide genießen. Umso schöner ist es, wenn jemand daraus eine Ausstellung machen möchte oder uns jemand beauftragt.

Wie seid ihr (künstlerisch) zusammengekommen?

Justina Monceviciute: Evelyn ist etwas länger im Atelier als ich. Ich habe längere Zeit in Berlin gewohnt, da ich hier studiert habe. Dann war ich kurz in Hamburg, bevor ich nach Berlin zurückkam. Und dann ist unser gemeinsamer Arbeitsplatz ganz zufällig entstanden. Über eine Kollegin von uns, wir haben auch zusammen studiert. Diese Kollegin erzählte mir, dass dies ein schöner Ort sei, um gemeinsam zu arbeiten. Wir haben uns dann besser kennengelernt und zusammen ausgestellt.

Evelyn Sitter: Der Bauhausauftrag war das erste Mal, dass wir wirklich zusammengearbeitet haben, auch zu viert. Das Projekt hat uns gezeigt, dass wir uns teilweise ergänzen. Wir haben ganz unterschiedliche Herangehensweisen zum Textil. Wir wurden im Rahmen der Bauhausausstellung gefragt, ob wir Lust hätten Workshops in der Berlinischen Galerie zu geben. Wir haben direkt drei veranstaltet und das hat uns Spaß gemacht. Wir möchten unser Wissen weitergeben. Das soll nicht nur in der Uni passieren, sondern schon viel früher. Diese Arbeit mit Schüler*innen machen wir weiterhin. Wir tauschen uns auch über die Lehre an der UdK Berlin aus. Daraus entstand auch die Idee für einen gemeinsamen Workshop im Rahmen der Summer University.

© Justina Monceviciute

Worum ging es in euren ersten Workshops im Zuge der Bauhausausstellung?

Justina Monceviciute: Es ging um das Thema Weben im Bauhaus. Wir sind ganz praktisch und methodisch vorgegangen und haben uns erstmal gefragt, was Weben überhaupt bedeutet. Was kann man damit machen? Weben als eine Methode der künstlerischen Arbeit. Wir haben versucht ein etwas breiteres Bild vom Weben zu vermitteln, zu zeigen, dass das nicht nur ein Handtuch ist, sondern eine tolle, vielfältige Methode, besonders für den Kunstbereich.

Worum wird es bei dem Summer-University-Kurs gehen?

Evelyn Sitter: Wir wollen einerseits textile Techniken vermitteln, die analog passieren. Es soll einen Einstieg in Handwerkstechniken geben, die relativ basal sind, aber mit denen viel erreicht werden kann. Wir beginnen mit einfachen Mitteln wie Materialmanipulation (dem fremden Einsetzen von Materialien). Auszüge aus Science-Fiction-Texten, die die Teilnehmer*innen mitbringen können, bilden den inhaltlichen Rahmen. Wir geben aber auch Textideen in der Literaturliste vor. Zum Beispiel Donna Haraways „Geschichte der Camille“, in der sich Mensch und Tier miteinander verbinden und aussterbende Arten in den Menschen weiterleben, oder das Manga „That Time I Got Reincarnated as a Slime” von Taiki Kawakami. Ziel ist es, möglichst fantasievoll zu arbeiten, um zu überlegen, was Material sein kann und darf. Wir sind beide Materialfreaks und wollen mit den analogen Techniken zeigen, dass nicht alles immer Hightech sein muss und trotzdem utopisch-wahnsinnig sein darf.

Justina Monceviciute: Die Superpowers of Material sind mein Bereich, da ich textile Technologien unterrichte. Ich bin Fan von natürlichen Materialien, die es seit Jahrtausenden gibt. Meiner Meinung nach werden deren geniale Fähigkeiten zu häufig vergessen. Wolle oder Baumwolle zum Beispiel bieten tolle Eigenschaften. Wir tragen sie nahezu täglich. Leider beobachten wir eher das Fetischisieren von Smart Materials, alles muss immer smart sein. Dabei bieten analoge Materialien ähnlich smarte Lösungen. Seide wärmt, wenn es kalt ist und kühlt bei warmen Temperaturen gleichermaßen. Sie passt sich an und reagiert auf den Körper. Das ist auch eine interessante Frage (für den Workshop): Braucht es immer Extra-Zubehör oder bieten uns natürliche Materialien bereits alles, was wir brauchen? Wir sind bei den Themen des Workshops recht offen.

Welches Vorwissen sollten Teilnehmer*innen mitbringen?

Evelyn Sitter: Textile Flächen spielen in verschiedensten Disziplinen eine Rolle. Textiles Arbeiten wird noch häufig als weibliches Element gelesen. Aber textile Flächen umgeben uns überall. In der Architektur, im Design, in der Kunst, in der Mode. Ich glaube, bei Justina und mir sieht man schon eine thematische Spannbreite zwischen den harten Materialien und den weichen. Wir freuen uns, wenn die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Disziplinen kommen. Ein grundsätzliches Interesse sollte vorhanden sein. Aber vor allem soll der Kurs auch zum Austausch anregen. Generelle Neugier und keine Angst vor den analogen Techniken, das wünschen wir uns. Wir sind Fans vom einfachen Häkeln, vom Experimentieren mit den Stricknadeln oder vom Knüpfen.

Wäre der Kurs auch online umsetzbar?

Justina Monceviciute: Ich denke schon. Wir haben bereits mit Modestudent*innen online gestrickt und gehäkelt. Klar, wir brauchen etwas mehr Zeit für die Vorbereitung. Dann geht es darum, wie wir die Inhalte so einfach wie möglich vermitteln können. Meine Erfahrung ist: Die Menschen vermissen die händische Arbeit. Die Neugier der Teilnehmenden ist wichtig. Wenn beide Seiten aktiv miteinander agieren und uns Feedback zur Umsetzung geben, dann klappt es online gut.

Evelyn Sitter: Ich habe im vergangenen Semester ein Kurzzeitprojekt online umgesetzt. Eine Kollegin und ich schickten vorab ein Materialpaket an alle Beteiligten. Das wäre für unser Format auch denkbar. Wir leiteten die Teilnehmenden aktiv an in der Küche zu arbeiten und alle Gegenstände zu nutzen, die sie um sich herum finden. Teilweise webten wir unter den Tischen und verwendeten Kochtöpfe. Wir improvisierten stark und die Ergebnisse nach drei Tagen waren so spannend, weil sich alle auf das Experiment eingelassen haben. Eine Studierende hat zum Beispiel auf dem Balkon im Geländer gewebt. Natürlich würden wir uns wünschen, dass wir auch bei uns in den UdK-Werkstätten arbeiten können. Weil wir ein großes Garnlager und Maschinen haben. Aber bevor es ganz ausfällt, würden wir den Kurs gerne online anbieten.

Justina Monceviciute: Beim Weben stellt man sich vielleicht schnell vor, dass es perfekt und sehr fein sein muss, aber das ist nicht der Fall. Auch Sticken oder Seilweben wären möglich.

Evelyn Sitter: Das ist auch ein Element, welches sich in unseren Schulworkshops wiederfindet. Wir arbeiten mit Schulkindern im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. Unsere Technik ist es, die Arbeitsmaterialien zu skalieren. Wir arbeiten häufig mit nachhaltigen Strategien. Das heißt, wir bitten die Kinder, alte Textilien mitzubringen, alte Klamotten, alte Bettwäsche. Diese reißen wir in Streifen und benutzen das als “Garn”.

Was wir uns auch für den Workshop vorstellen können: Dass alle, die affin dafür sind, die analogen Samples digital manipulieren. Es geht darum einen Materialtransfer zu zeigen, um von einem Stadium zum anderen zu kommen. Wenn Interesse besteht, die Textilien in Blender zu transformieren, sind wir dafür offen. Das haben wir mit UdK-Studierenden bereits umgesetzt. Wir sind es gewöhnt, dass die Studierenden viel Interesse und Eigeninitiative ergreifen. Aber wir können auch stark anleiten.

Wie können wir uns eure Schulprojekte vorstellen? Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

Evelyn Sitter:  Ich habe ein großes Interesse daran, das Stigma des Weiblichen vom textilen Arbeiten loszuwerden. Daraus entstand die Idee der Workshops an Schulen: Allen Kindern jedes Geschlechts einen Zugang zum textilen Arbeiten zu geben.

Justina Monceviciute: Die Original-Bauhaus-Ausstellung (6.09.19 bis 27.01.20) war ein großes Projekt. Das Workshop-Programm zur Ausstellung wurde von der Kuratorin Dr. Nina Wiedemeyer ins Leben gerufen. Ziel war es, auch jüngere Generationen auf das Bauhaus aufmerksam zu machen. Sie sollten in die Gestaltung einbezogen werden. Für Kinder und Jugendliche gab es die Möglichkeit, die Künstler*innen und ihre Arbeitsprozesse kennen zu lernen. Die Berlinische Galerie hat für diesen Austausch einen besonderen Raum geschaffen. 207qm sind zur Wissensvermittlung gedacht und auch für Lehrkräfte haben wir einen Workshop gegeben.

Beim ersten Workshop fielen wir ein bisschen ins kalte Wasser. Wir hatten beide große Lust das auszuprobieren, auch um unsere Zusammenarbeit zu stärken. Ich war sehr aufgeregt, weil ich zuvor nie mit Kindern gearbeitet habe. Für uns war es interessant zu sehen, welche Stigmata in welcher Altersgruppe auftreten. Wir hatten anfangs zwei Gruppen mit insgesamt vierzig Kindern im Alter von sechs oder sieben bis zehn Jahren. Wir waren zu zweit mit den Lehrer*innen.

Evelyn Sitter: Bei einem Workshop in der Berlinischen Galerie wurden wir von einem Jungen konfrontiert, der meinte, dass Weben Mädchenarbeit sei. Er war schon etwas älter.

Justina Monceviciute: Ich habe während der Workshops bemerkt, dass es bei jüngeren Kindern noch keine Vorbehalte gegenüber dem Weben oder Sticken gab. Ein paar Jungs waren anfangs skeptisch. Aber alle haben am Ende mitgemacht. Bei den etwas Älteren ließen sich Stigmata deutlicher beobachten. Je näher sie an die Pubertät kommen, desto stärker ist die Rollenverteilung erkennbar. Bis zu einem gewissen Alter gelingt es leichter, einen Zugang zur Handarbeit zu schaffen. Später verstärken sich die Vorurteile. Dann stellen die Kinder ganz andere Fragen. Aber auch dann ist es möglich.

Evelyn Sitter: Genau, nach einer gewissen Zeit überschreiten sie eine Barriere. Erst kommen Kommentare, wie „Das ist ja Mädchenarbeit“ und dann denken wir uns erstmal „Wow, das ist ja interessant“. Ich habe dann zurückgefragt, was denn Jungsarbeit sei, und das konnten sie nicht beantworten. Das ist der eine Fokus – Genderbarrieren abzubauen. Der andere liegt auf dem nachhaltigen Arbeiten.

Justina Monceviciute: Unsere Webstühle funktionieren auch analog, sie sind simpel gebaut.

Evelyn Sitter: Genau, auch ein bisschen improvisiert. Wir versuchen in den jeweiligen Räumen zu arbeiten. Wir fragen uns: an welchem Balken können wir arbeiten? Wo kann etwas befestigt werden? Manchmal drehen wir einfach die Schultische um und montieren die Balken darauf, um daran zu arbeiten. Das finden die Kinder ziemlich lustig. Sie können das Klassenzimmer auf den Kopf stellen.

Justina Monceviciute:  Die Arbeit findet immer in Gruppen statt. Das Endergebnis entsteht durch die Arbeit mit Materialien, die bereits vorhanden sind (z.B. im Klassenzimmer, unbenutzte, von zu Hause mitgebrachte Textilien usw.) Auch wenn kaum finanzielle Mittel vorhanden sind, können die Kinder kreativ werden.  Auch das möchten wir vermitteln.

Gibt es gerade ein weiteres gemeinsames Projekt, an dem ihr arbeitet?

Justina Monceviciute: Ein bisschen Stillstand. Aber wir führen die Workshops fort.

Trotz Corona?

Justina Monceviciute: Ja, das lässt sich trotzdem umsetzen. Im vergangenen Herbst haben wir einige Workshops durchgeführt. Mit Hilfe und Förderungen durch die Berliner Bezirksämter. Aber was Ausstellungen angeht, ist gerade alles abgesagt. Wir haben sehr viele Arbeiten geschaffen und warten.

Waren das Aufträge die ihr vorher hattet und die jetzt erstmal auf Halt sind wegen der Corona-Pandemie?

Evelyn Sitter: Teilweise. Wir wurden noch zu Panel-Diskussionen eingeladen, die sich verschoben haben. Manches konnte im vergangenen Herbst nachgeholt werden. Aber insgesamt ist es gerade mühsam, weil niemand weiß, wann wieder aufgemacht werden kann.

Justina Monceviciute: Am Anfang wurde fast alles verschoben, aber inzwischen traut sich niemand mehr. Dann werden die Termine im Zweifel ohne Ersatz abgesagt.

Gibt es etwas Positives an der Corona-Situation? Hattet ihr etwa für bestimmte Projekte mehr Zeit?

Justina Monceviciute: Die „zusätzliche“ Zeit nutzen wir maximal aus. Wir sind immer hier im Atelier und unterstützen uns gegenseitig. Wir sehen eine große Entwicklung in unserer künstlerischen Arbeit. Das ist das Positive. Aber klar, es ist auch frustrierend. Ich glaube, wir haben letztes Jahr das Beste daraus gemacht.

Evelyn Sitter: Ich habe für mich persönlich wieder stärker gemerkt, woran ich arbeiten möchte und wohin ich damit will. Im vergangenen Jahr zumindest, zu Beginn der Pandemie, gab es gefühlt eine große Chance sich selber wieder besser kennenzulernen. Es war zunächst sogar richtig toll, so viel produzieren zu können. Aktuell verspüre ich aber einen Corona-Kater.

Justina Monceviciute: Meine Arbeit wird in einigen Gruppenausstellungen im drj art project Space in Schöneberg zu sehen sein. Ein paar andere Ausstellungen sind in der Diskussion.

Evelyn Sitter: Ein bisschen was bewegt sich.

Justina Monceviciute: Genau, aber die Kurator*innen sind auch vorsichtig. Einige erzählen mir, dass sie geplante Ausstellungen erst verschoben haben, um sie dann doch abzusagen. Wenn sie beispielsweise Gruppenausstellungen organisieren und die Künstler*innen können oder wollen dann doch nicht anreisen. Im Moment geht es viel um Logistik und Management.

© Gedvilė Tamošiūnaitė und Evelyn Sitter

Was lest ihr gerade, was inspiriert euch, was hört ihr gerne?

Evelyn Sitter: Ich lese gerade viel. Dafür habe ich mir mehr Zeit genommen. Ich entdecke gerade eine Liebe zu Silvia Federici: eine feministische Schriftstellerin, die schon in den 1970er Jahren aktiv war und sich an den Waiges-for-Housework-Initiativen beteiligte. Das Phänomen verstärkt sich durch Corona wieder enorm, also der Anteil an unbezahlter Arbeit, den Frauen verrichten. Sie hat ein ganz tolles neues Buch geschrieben: „Beyond The Periphery Of The Skin: Rethinking, Remaking, and Reclaiming the Body in Contemporary Capitalism“ von 2020, in dem es um Körperpolitiken geht. „Aufstand aus der Küche“ ist ein kleines Büchlein aus der Serie „Kitchen Politics – Queerfeministische Interventionen”. Das liebe ich gerade sehr, da ich am Thema „Identität und Küche“ interessiert bin. Silvia Federici ist für mich eine ganz tolle Schriftstellerin, weil sie direkt und unkompliziert schreibt.

Justina Monceviciute: Ich habe gerade „Die Korrekturen“ von Jonathan Franzen zu Ende gelesen. Abwechselnd lese und durchblättere ich gerade „Grief and Grievance. Art in Mourning America“ von Okwui Enwezor und weiteren Herausgeber*innen, „How Charts Lie“ von Alberto Cairo und „Eure Heimat ist unser Albtraum“ von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah.

Danke, dass ihr die Überlegungen mit uns teilt. Zum Abschluss, könnt ihr uns noch einen Einblick in euren Alltag geben? Wie sieht so ein typischer Arbeitstag bei euch aus?

Justina Monceviciute: Ich bin hier jeden Tag. Evelyn hat noch ihre Stelle an der UdK Berlin.

Evelyn Sitter: Ich komme meist Mittwochmittag, Donnerstag und Freitag ins Atelier. Montag und Dienstag gibt es immer die volle Lehre und Organisation an der UdK Berlin und ab Mittwoch setzt dann der Transfer zur Selbstständigkeit ein. Im Lockdown habe ich auch viel aus dem Studio heraus unterrichtet.

Evelyn Sitter: Wir haben hier ein kleines Kochritual.

Justina Monceviciute: Genau, das ist auch eine Art Unterstützung. Wir kochen füreinander, auch für andere Kolleg*innen. Dabei tauschen wir uns aus. An den Werktagen bin ich eigentlich immer mindestens acht Stunden hier. Ich mag es den Morgen für mich zu haben und dann mit guter Laune hier her zu kommen. Das ist ein großer Vorteil an der Selbstständigkeit, dass ich mir meine Zeit etwas flexibler gestalten kann. Ich lehre seit einem Jahr auch digital vom Studio aus.

Evelyn Sitter: Wir haben nette Nachbarn, daraus ist ein tolles Netzwerk entstanden. Unsere Kollegin Sara arbeitet zwei Häuser weiter. Wir sind mittags oder teilweise auch abends mit unseren Nachbarn zusammen. Der Ort ist für uns ganz wichtig. Und natürlich gibt es in der Umgebung viele Galerien, an denen man nachmittags entlangspazieren kann, sich andere Ausstellungen ansehen kann. Ich glaube, das Mittagessen ist bei uns der Kernpunkt der Gemeinschaft.

Seit wann arbeitet ihr hier im Atelier?

Evelyn Sitter: Ich glaube seit April 2016. Und im Herbst 2016 habe ich an der UdK Berlin begonnen.

Justina Monceviciute:  Bei mir seit 2017.

Evelyn Sitter: Die Räume haben sich seitdem auch stark verändert. Anfangs war im vorderen Bereich eine Werkstatt, dort standen Geräte. Dann haben wir gemerkt, dass wir hier stärker ausstellen möchten und sind nach und nach immer weniger Personen geworden, auch weil wir immer mehr Objekte hier haben.

Justina Monceviciute: Du siehst, die Wände sind voll.

Evelyn Sitter: Da wird manchmal um jeden Platz gekämpft (lacht).

Justina Monceviciute: Jetzt funktioniert das toll. Wenn jemand von uns Besuch hat, können wir das Studio individuell anpassen. Es war schon immer eine Galerie. Deswegen sind die Decken so hoch. Ein super Ausstellungsraum.

Evelyn Sitter: Keine Fußleisten. Es ist lustig, in einem solchen Galerieraum zu arbeiten und ihn zu hacken. Wir warten erst gar nicht darauf auszustellen. Die Objekte sind eigentlich immer sichtbar.

Der Workshop Textile Surfaces – Threads of Camille 5 im Rahmen der Berlin Summer University of the Arts findet vom 20. bis 24. September 2021 statt, Anmeldungen werden noch bis zum 29. August entgegengenommen.

Das Gespräch führte Anna Ullrich.

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