Wie interagieren Mensch und Technologie im digitalen Zeitalter? Geht verkörpertes Wissen (embodied knowledge) im Gebrauch von Künstlicher Intelligenz (KI) verloren? Was kann E-Learning aus Techniken der künstlerischen Praxis gewinnen? Kann eine KI ein Theaterstück auf die Bühne bringen?

Diese und viele andere Fragen wurden im Rahmen des Symposiums „Other Realities“, das am 27. Oktober 2023 an der UdK Berlin stattfand, diskutiert. Organisiert wurde die Veranstaltung vom fakultätsübergreifenden Drittmittelprojekt InKüLe (Innovationen für die künstlerische Lehre), das von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert wird und am Berlin Career College verankert ist. Ziel des Projektes ist es, innovative Medientechniken und deren Anwendungspotenzial in der künstlerischen Lehre zu erkunden und zu fördern. Für dieses Symposium lud InKüLe Lehrende, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen aus verschiedenen Fach-und Arbeitsbereichen ein, um sich Fragen nach den Möglichkeiten, aber auch nach den Grenzen digitaler Tools in der Kunst und der (künstlerischen) Lehre zu widmen.

Nach der Begrüßung durch die Projektleiterin Sabine Huschka eröffnet Norbert Palz, Präsident der UdK Berlin, das Symposium. In seinem Talk The mind and the machine verfolgt er die technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, deren Auswirkungen auf den Menschen und was diese für die Kunst bedeuten. Anstatt jedoch diesen Entwicklungen kritisch gegenüberzustehen, betont Palz, dass das Digitale einen neuen Raum der Möglichkeiten biete, und nicht mit Qualitätsverlust assoziiert werden sollte. So befasst sich auch die UdK Berlin laufend mit den sozialen, didaktischen und künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten, die digitale Medien anstoßen können.

Ein faszinierendes Beispiel solcher Möglichkeiten stellt im Anschluss Björn Lengers vor. Er und sein Kollege Marcel Karnapke bilden zusammen die CyberRäuber, ein Theater- und Performanceprojekt, das erkundet, was passiert, wenn man KI und VR ins Theater bringt und das Theater in KI und VR. Das kann dann zum Beispiel so aussehen: Drei Schauspielerinnen bekommen über ein Headset einen Text vermittelt, der in Echtzeit von einer KI (GPT2/GPT3) generiert wird, und den sie wiederum in Echtzeit auf der Bühne performen müssen. Die Bewegungen der Darstellerinnen werden dabei von Sensoren aufgenommen, die daraus – wiederum in Echtzeit – eine Soundscape für die Bühne erschaffen. Diese Kombination aus Vorgabe und gleichzeitiger Improvisation zieht sich durch die Vorstellung und erschafft eine spannende Dynamik, eine „Beautiful Catastrophe“, wie es Lengers und Karnapke taufen. Gleichzeitig regt die Arbeit der CyberRäuber aber auch zum Nachdenken an: Wie verändert sich unsere Wahrnehmung von Kunst, wenn wir wissen, dass sie KI-generiert ist? Was, wenn nicht mehr zwischen menschengemachter und KI-generierter Kunst unterschieden werden kann? Verliert Theater durch das Stattfinden in einem VR-Raum nicht sein Hauptmerkmal, die geteilte Präsenz von Publikum und Darsteller*innen? Die CyberRäuber haben sich zur Aufgabe gemacht, diese Fragen zu erkunden.

Vom Theater geht es nun auf den Campus, genauer gesagt auf den virtuellen Campus. Matthias Wölfel liefert einen Erfahrungsbericht über den VR-Campus als sozialen Lehr- und Lernraum und erläutert das Pro und Contra dieses Formats. Er betont, dass VR-Lernräume nur dann sinnvoll sind, wenn sie dem Lernerlebnis etwas hinzufügen und es verbessern können, nicht aber, wenn analoge Methoden lediglich in den virtuellen Raum verlegt werden. So bringt zum Beispiel eine einfache Vorlesung im VR-Campus keinen Mehrwert, im Gegenteil: hier entfällt sogar die soziale Komponente einer Vorlesung in Präsenz. Wenn ein VR-Raum jedoch Studierenden ermöglicht, Dinge selbst zu erproben – sei es das Gestalten virtueller Räume selbst – oder Dimensionen und Vorgänge aus einer anderen Perspektive zu betrachten, kann VR das Lernen bereichern.
Diese Meinung teilt auch Dominic Christian Fehling, der zusammen mit seinen Kolleginnen an der Bergischen Universität Wuppertal ein kostenloses Open-source Tool namens Figments.nrw entwickelt hat, mit dem Lehrende VR-Räume und deren Inhalt kreieren können, ohne selbst programmieren zu müssen. So schafft das Tool mehr Zugänglichkeit und gestalterische Freiheit im Umgang mit VR in der Bildung. Das Schaffen immersiver virtueller Räume zum Lernen und Lehren kann also auf verschiedene Weisen effektiv gestaltet werden. Was dabei jedoch nicht vergessen werden sollte, betont Wölfel, ist der Körper selbst und seine Sichtbarkeit im virtuellen Raum, um Benutzerinnen ein Selbstgefühl zu ermöglichen. In seinem virtuellen Klassenzimmer gibt es sogar einen „Spiegel“ in dem sich die Avatare der Studierenden entgegensehen können.

Mit dem Körper setzt sich im Anschluss auch Scott deLahunta auseinander. Der Professor für Tanz sieht das Konzept des Körpers im Gebrauch mit AI und VR kritisch. Denn der Körper und das verkörperte Wissen, so argumentiert er, gehen durch die Digitalisierung und die damit verbundenen Entwicklungen im Bereich KI zunehmend verloren: Aus den Sinnen werden digitale Funktionen, aus Empathie wird ein Computerprogramm. Doch das, was wir als Menschen erfahren – die Momente, auf die wir körperlich und emotional reagieren – ist vergänglich; folglich bedeutet ein Körper zu sein, dieses Verschwinden wahrhaben zu müssen. In der Entwicklung von KI wird stattdessen versucht, alles festzuhalten, es zu klassifizieren und zu codieren. DeLahunta schlägt stattdessen vor, die Erfahrungen zu erforschen, die nicht ins Digitale übersetzt werden können, um so zu verdeutlichen, dass Mensch und Maschine nicht den gleichen Stellenwert haben. Anhand des Tanzes, einer Kunstform, die von ihrer leiblichen Präsenz lebt, formuliert deLahunta so seine Bedenken an VR und KI.

Der letzte Talk des Symposiums kommt noch einmal auf das Lernen im Digitalen zurück. Charlotte Axelsson, Leiterin für E-Learning an der Zürcher Hochschule der Künste, stellt ihr Konzept der „Tender Digitality“ vor. Es setzt sich zusammen aus „Digitalität“ als Wechselspiel zwischen Menschheit und Technologie, und „Zärtlichkeit“, ein greifbares und doch unbestimmtes Gefühl, ein „Dazwischen“. Im Gegensatz zu – oder vielleicht sogar als Antwort auf – deLahunta, der der Interaktion von Mensch und Maschine kritisch gegenübersteht, schlägt Axelsson einen spielerischen und intuitiven Umgang mit digitalen Medien in der Lehre vor, der von Methoden aus der künstlerischen Praxis Gebrauch macht. Durch Improvisation oder Perspektivenwechsel können so aus Fehlermeldungen Gewitter werden, aus technologischer Komplexität ein Anstoß zum Experimentieren. So weicht das „harte“ Digitale dem Zärtlichen, und der Mensch wird wieder in das Zentrum dieses Zusammenspiels gestellt.

Damit endet ein spannender, aufschlussreicher und bereichernder Tag rund um das Thema KI und VR in Kunst und Lehre. Von verschiedenen Blickpunkten aus erkundeten die Referent*innen, was es bedeutet, mit „Other Realities“ – anderen Realitäten – zu arbeiten, zu experimentieren und zu kommunizieren. Dabei wurde klar, dass diese anderen Realitäten vielleicht nicht so fern von unserer eigenen liegen: Die Sphären des Digitalen und Virtuellen sind zunehmend mit der materiellen Welt verstrickt, sind voneinander abhängig und beeinflussen unser Leben mehr und mehr. Wie sich das in Zukunft auf Menschen, Kunst und Lehre auswirken wird, ist noch offen.

Autorin: Ella Pienkoß

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