Ein Interview mit Dr. André RenzForschungsgruppenleiter der Forschungsgruppe „Datenbasierte Geschäftsmodellinnovationen“ am Weizenbaum-Institut.

„Das Weizenbaum-Institut erforscht interdisziplinär und grundlagenorientiert die Wechselbeziehung zwischen Digitalisierung und Gesellschaft. Die Gestaltung der Digitalisierung zum Wohle der Gesellschaft und der Schutz der Selbstbestimmung und des Engagements in der vernetzten Gesellschaft stehen im Mittelpunkt der Forschung“, so heißt es auf der Instituts-Website. Am 21. September 2017 wurde das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft – Das Deutsche Internet-Institut eröffnet, in den letzten vier Jahren ist viel Entwicklung passiert.

Herr Renz, das Weizenbaum-Institut steht im Verbund mit der Universität der Künste Berlin und mit dem Berlin Career College. Wie genau sieht diese Zusammenarbeit aus?

Dr. André Renz: Wir sind 2017 als Verbundprojekt gestartet, dem neben der Universität der Künste Berlin die Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin, Freie Universität Berlin und die Universität Potsdam sowie das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) angehören. Das Besondere an unserem Forschungsverbund ist, dass wir zentral an einem Ort – in der Hardenbergstraße 32 in Berlin – einen gemeinsamen Standort aufgebaut haben. Die räumliche Nähe ermöglicht uns so eine intensivere Zusammenarbeit und ist extrem förderlich für die Entwicklung interdisziplinärer Ideen und Projekte. Innerhalb der UdK Berlin waren es zunächst zwei, jetzt drei Professor*innen, die das Projekt maßgeblich mitgestalten: Prof. Dr. Gesche Joost, Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer und Prof. Dr. Sascha Friesike. Mit den vier Forschungsgruppen „Kritische Maker-Kultur“, „Ungleichheit und digitale Souveränität“, „Datenbasierte Geschäftsmodellinnovationen“ und „Reorganisation von Wissenspraktiken“ bringen zurzeit rund 30 Mitarbeiter*innen der UdK Berlin ihre Expertise in die Arbeit am Weizenbaum-Institut mit ein.

Das ist auch der Name Ihrer Forschungsgruppe: „Datenbasierte Geschäftsmodellinnovationen“. Sie kombiniert „Theoriebildung über Geschäftsmodellinnovationen mit der empirischen Analyse datenbasierter Innovationsprozesse, z. B. in den Bereichen Bildung, Open Data oder in der Kreativwirtschaft.“

Dr. André Renz: Ja, und das Zentralinstitut für Weiterbildung (ZIW) ist hierbei ein sehr guter Anknüpfungspunkt für unsere Arbeit. Wir haben früh den Fokus unserer Arbeit auf digitale, datenbasierte Geschäftsmodelle in den Bereichen Aus- und Weiterbildung gelegt. In unserer Arbeit untersuchen wir z.B. was es mit den zentralen Narrativen/Versprechen einer digitalisierten Bildung tatsächlich auf sich hat oder wie Bildungsorganisationen die Chancen der Digitalisierung für sich nutzen, um so neue innovative Geschäftsmodelle entwickeln und gestalten zu können. Das ZIW ist damit nicht nur unsere Heimatinstitution, sondern ein Stück weit auch Beobachtungsobjekt, da es sich selbst im spannenden Prozess der digitalen Transformation befindet.

Was sind Ihre Aufgaben als Forschungsgruppenleiter am Weizenbaum-Institut?

Dr. André Renz: In Absprachen mit dem Principal Investigator Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer kuratiere ich in erster Linie die Forschungsagenda innerhalb unserer Forschungsgruppe und pflege Kooperationen mit externen Partnern aus Wissenschaft und Praxis. Einen weiteren Kern meiner Arbeit bildet die Förderung und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses innerhalb unserer Forschungsgruppe, angefangen von den studentischen Mitarbeiter*innen bis hin zu den Doktorand*innen. Darüber hinaus arbeite ich gemeinsam mit anderen Forscher*innen an unterschiedlichen, spannenden Projekten.

Dr. André Renz © Katharina Stefes

Am Weizenbaum-Institut erforschen insgesamt 21 Forschungsgruppen die ethischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte rund um das Internet und die Digitalisierung. Die Leitfragen und Forschungsansätze der Forschungsgruppen sind darauf ausgerichtet, unterschiedliche disziplinäre und interdisziplinäre Perspektiven auf Gesellschaft und Digitalisierung zusammenzubringen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den anderen Forschungsgruppen?

Dr. André Renz: Unser Kernthema der Digitalisierung ist natürlich hoch komplex, was eine interdisziplinäre Zusammenarbeit absolut unerlässlich macht. Die Zusammenarbeit findet dabei auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Formaten statt. Unsere Forschungsgruppe arbeitet z.B. gemeinsam mit Gruppen der HU Berlin und TU Berlin im Querschnittsbereich „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“. Hier haben wir den HyperCube, ein Framework zur Unterstützung, Visualisierung und Ergebnissicherung von interdisziplinären Workshops entwickelt. In einem anderen Projekt mit Gruppen der FU Berlin und dem Gothe-Institut haben wir aktuell untersucht, wie junge Europäerinnen die zunehmende Datafizierung und den Einfluss von KI-Technologien in der Gesellschaft in unterschiedlichen Bereichen wie Bildung oder Arbeit wahrnehmen. Wir arbeiten in verschiedenen Projekten auch sehr eng mit der Universität Potsdam zusammen, insbesondere mit Frau Dr. Gergana Vladova – Forschungsgruppenleiterin der Gruppe Bildung und Weiterbildung in der digitalen Gesellschaft. Frau Dr. Vladova ist Wirtschaftsinformatikerin, ich selbst Verhaltenswissenschaftler mit ökonomischem Background. Unsere unterschiedlichen Disziplinen und Methoden helfen uns dabei, die oftmals sehr komplexen Fragestellungen von verschiedenen Blickwinkeln beleuchten zu können. In Transferprojekten holen wir uns darüber hinaus aber auch immer wieder Unterstützung aus der Praxis, so wie im Projekt Data Awareness Canvas, das in enger Zusammenarbeit mit der EQUEO, Anbieter von Smart Learning Solutions und dem IT-Dienstleister TechniData, realisiert wurde. Die unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit innerhalb des Instituts und mit externen Kooperationspartnern sind dabei so vielfältig, wie die einzelnen Forschungsgruppen selbst.

Sie haben vor 4 Jahren die Arbeit in der Forschungsgruppe aufgenommen – was ist der Kern Ihrer Arbeit und was gibt es seither für Entwicklungen?

Dr. André Renz: Wir haben uns direkt zu Beginn unserer Arbeit innerhalb des breiten Forschungsfeldes datenbasierter Geschäftsmodellinnovationen auf den Bereich Bildung konzentriert. Unsere Ausgangsfrage war: Was gibt es im Bildungsbereich bereits für digitale, datenbasierte Geschäftsmodelle? Hierzu haben wir eine Taxonomie erstellt, um so die unterschiedlichen Ausprägungsgrade digitaler, datenbasierter Modelle abbilden zu können und so einen ersten groben Marktüberblick zu erhalten. Die Forschungsschwerpunkte innerhalb der Gruppe sind dann noch einmal differenzierter. So forscht unser Doktorand Bennet Etsiwah zum Thema Data Literacy und organisationalen Datenkulturen. Dabei schaut er sich u.a. an, welche Grundvoraussetzungen und Kompetenzen innerhalb einer Organisation für datenbasiertes Entscheiden notwendig sind, damit im nächsten Schritt z.B. Prozesse auf Grundlagen der vorhandenen Daten innoviert oder neue Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden können. Unsere Doktorandin Stefanie Hecht forscht zur Verbesserung der User Experience und digitale Barrierefreiheit von Open-Data-Plattformen. Ich selbst konzentriere mich in meiner Arbeit auf die Themen Learning Analytics und Künstliche Intelligenz im Bildungsbereich. Einerseits schaue ich mir an, wie sich der Bildungsmarkt und die Bildungstechnologien (EdTech) durch die Implementierung von z.B. KI-Technologien entwickeln. Auf der anderen Seite arbeite ich aber auch mit den Anwendern der Technologie und untersuche, wie ein sinnstiftender und ethisch verantwortungsvoller Einsatz von EdTech innerhalb einer Bildungsorganisation gestaltet werden kann.

Weizenbaum Institut © Hans-Christian Plombeck
Weizenbaum Institut © Hans-Christian Plombeck

Was sind denn ganz aktuelle und besondere Projekte?

Dr. André Renz: Aktuell arbeiten wir gemeinsam mit der Forschungsgruppe „Bildung und Weiterbildung in der digitalen Gesellschaft“ an einem Transfer-Projekt mit dem Käthe-Kollwitz-Gymnasium zum Thema „Schule digital gestalten“. Das Käthe-Kollwitz-Gymnasium ist ein sehr spannender Kooperationspartner. Einerseits setzt das Gymnasium einen Fokus auf Mädchenförderung im MINT-Bereich, also einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausrichtung. Gerade im MINT-Bereich gibt es heute bereits eine Vielzahl an digitalen Lernangeboten, die adaptive Technologien nutzen. Anderseits befindet sich die Schule noch am Anfang eines Digitalisierungsprozesses und damit in der Phase des Ausprobierens. So können wir quasi von Beginn an einzelne Digitalisierungsmaßnahmen beobachten und zugleich gestaltend wirken, z.B. mit unserem Tool „Canvas digitaler Unterricht“, ein visuelles Framework, was Lehrkräfte dazu einladen soll, den eigenen Unterricht digitaler zu gestalten bzw. zu überprüfen, wann der Einsatz von digitalen Elementen sinnstiftend sein kann. Uns ist dabei wichtig, dass die Tools niedrigschwellig und intuitiv gestaltet sind, sodass Lehrkräfte Lust auf das Ausprobieren und Erfahren bekommen. Das ist gerade für den Prozess digitaler Selbstbestimmung und damit für die Herausbildung digitaler Souveränität sehr entscheidend.

Ein anderes Projekt, welches wir aktuell gemeinsam mit der Forschungsgruppe „Bildung und Weiterbildung der digitalen Gesellschaft“ kuratieren, läuft unter dem Projektnahmen „EdTech im Wandel“. Hier beschäftigen wir uns mit der Frage, wie sich EdTech und das Verständnis über EdTech im Laufe der Zeit verändert hat. Um die Begriffsentwicklung grob zu skizzieren: In früheren Theorien hat man als EdTech z.B. einen ganz normalen Bleistift verstanden, quasi die erste Hardware im Bildungsbereich. Das Verständnis von EdTech hat sich mit den technischen Entwicklungen deutlich verändert. Ab Mitte 1990er Jahren war EdTech vor allem der Einsatz von PCs. Heute gehen wir von einem noch differenzierten Begriffsverständnis aus, indem EdTech nicht mehr nur Technologien/Hard- und Software wie z.B. Apps, Virtual Reality, KI, etc. umfasst, sondern auch Methoden und pädagogische Ansätze zur Nutzung der Technologie implementiert. Neben der definitorischen Analyse haben wir zwei große Erhebungen vorgenommen: Einmal innerhalb von Berlin ein Mapping, wie EdTech-Anbieter die Potentiale von KI-Technologien einschätzen und selbst nutzen. In der zweiten Erhebung haben wir unseren Untersuchungsraum auf Deutschland ausgeweitet und EdTech-Anbieter nach konkreten Charakteristika zu ihren Anwendungen befragt. Aktuell bereiten wir einen Zukunftsworkshop zum Thema „Shaping the Future of EdTech“ vor, bei dem wir mit namhaften Unternehmen gemeinsam untersuchen, welche Bedarfe und Anforderungen an EdTech in den kommenden zehn Jahren geben wird und welche Potentiale EdTech-Entwicklungen unter Berücksichtigung des bestehenden Bildungssystems haben.

Digitalisierung hat ja während der Pandemie noch einmal einen ganz neuen und wichtigen Stellenwert bekommen. Was sind besondere Projekte, die vielleicht auch während der Pandemie-Zeit am Weizenbaum-Institut entstanden sind?

Dr. André Renz: Am Institut haben wir natürlich auch intensiver mit den Auswirkungen der Pandemie auf verschiedene Gesellschaftsbereiche beschäftigt. So hat z.B. Prof. Dr. Sascha Friesike die Podcast-Reihe „Weizenbaum im Homeoffice: Corona und Digitalisierung“ initiiert, in der die Auswirkungen der Pandemie auf die vernetzte Gesellschaft beleuchtet werden. Ich selbst habe mich während der Zeit stark mit dem Thema Digitalisierung von Bildungsinstitutionen auseinandergesetzt und u.a. die Gelingensfaktoren angesehen, d.h. was braucht es, um in einen digitalen bzw. hybriden Lehrprozess einsteigen zu können. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Schildhauer habe ich auch untersucht, welche Chancen sich für den Markt der Bildungstechnologie durch eine stärkere Nutzung von digitalen Elementen in der Bildung ergibt. Die Bewegungen sind sehr spannend. Durch die stärkere Nutzung von EdTech-Anwendungen, nimmt auch das verfügbare Volumen von Lerndaten zu, die wiederum eine Grundlage für die Entwicklung datenbasierter Lerntechnologien bilden. Mittlerweile sind meine Kollegin Frau Dr. Gergana Vladova und ich auch im Expertenrat für das BMBF-finanzierte Projekt schultransform berufen, was den Transformationsprozess von Schulen auch langfristig nach der Pandemie unterstützen soll. Digitalisierung und Bildung während der Pandemie ist und bleibt also tatsächlich ein großes Thema für uns.

Es gibt auch das Format ‚Weizenbaum-Forum‘ – worum handelt es sich dabei genau?

Dr. André Renz: Mit dem Weizenbaum-Forum haben wir ein neues/weiteres Format etabliert, um den Dialog mit der Zivilgesellschaft und Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft und co. zu kultivieren. Das Format folgt dabei dem Vorbild des antiken „Forums“, d.h. wir schaffen einen Raum des Austausches, der Diskussion und der Reflektion. Auch unsere Forschungsgruppe durfte bereits zwei dieser Foren zu den Themen „Keine Angst vor Daten – Auf dem Weg zu einer datenkompetenten Gesellschaft“ und „Mein Lehrer, ein Roboter? Künstliche Intelligenz im Klassenzimmer“ kuratieren. Formate wie das Weizenbaum-Forum sind auch ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit und sehr wertvoll, um den Diskurs und die Auseinandersetzung über Digitalisierung und zunehmend auch die Datafizierung unserer Gesellschaft partizipativ zu fördern. Nehmen wir das Thema Künstliche Intelligenz. Medial wird es oftmals überpointiert und wirkt sehr futuristisch. Um Berührungsängste und Bedenken abzubauen, hilft es hier durchaus in den Austausch zu gehen und das KI-Phänomen auch einmal ganz pragmatisch auf Grundlage vorhandener Forschungserkenntnisse zu betrachten und ggf. auch zu relativieren/demystifizieren. Denn eins ist sicher: auch in 20 Jahren wird der Roboter nicht die Lehrkraft ersetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft – Das Deutsche Internet-Institut ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt aus Berlin und Brandenburg. Die zentrale Administration und rechtsgeschäftliche Vertretung des Verbundprojekts erfolgt über den Weizenbaum-Institut e.V.

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