Strategien für diversitätssensible Transformationsprozesse in Kultur- und Bildungseinrichtungen
Bereits zum zweiten Mal fand im Frühjahr 2021 der Fachtag ARTIST CAREER FORUM II statt. Bei dieser Ausgabe ging es um verschiedene Strategien für diversitätssensible Transformationsprozesse in Kultur- und Bildungseinrichtungen. Der Fachtag wurde gemeinsam vom Projekt Artist Training am Berlin Career College, der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, dem Global Board der Landesmusikakademie und Musikland Niedersachsen gGmbH und INTRO der Behörde für Kultur und Medien Hamburg veranstaltet.
Wie kam es zum gemeinsamen Fachtag?
Im Dezember 2016 fand im Rahmen des EU-geförderten Projekts „Artist Training: Refugee Class for Professionals“ am Berlin Career College ein erstes Arbeitstreffen mit dem Titel ARTIST CAREER FORUM statt. Ziel war es, verschiedene Akteurinnen in Berlin zusammenzubringen, um gemeinsame Strategien zu entwickeln und den neu angekommenen geflüchteten Künstlerinnen zu helfen. Vier Jahre später – und nach dem Wandel des Projektnamens zu „Artist Training“ – begannen die Vorbereitungen zu einem zweiten Fachtag innerhalb des DAAD-finanzierten Projektes Artist Training DIGITAL BASICS mit drei Partnerinstitutionen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie sich die Kultur- und Bildungsinstitutionen strukturell ändern müssen, um allen Künstler*innen einen gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen.
Den Blick nach innen richten
Im September 2020 startete das „Artist Training Lab für Radical Transformation” in Form einer Gesprächsreihe als Vorbereitung für den Fachtag ARTIST CAREER FORUM II, kuratiert und moderiert von der freien Regisseurin, Produzentin und Aktivistin Chang Nai Wen, die seit 2016 die Artist Training Angebote mitgestaltet. Zentrale Fragen waren zu Beginn: In welche Struktur wurde das Artist Training eingebettet? Inwieweit unterstützen die Rahmenbedingungen der Projektförderung die inklusive Gestaltung des Artist Trainings? Haben die Teilnehmenden durch das Programm leichteren Zugang zu Bildungs- und Kultureinrichtungen? Was sind die besonderen Herausforderungen, die die Teilnehmerinnen überwinden müssen, wenn sie in der Berliner Kulturlandschaft ankommen?
Bei den ersten zwei Artist Training Labs reflektierten die Modulleiterinnen die Entwicklungen ihrer Arbeit. Zwei externe Gäste, Saraya Gomis (EachOneTeachOne e.V.) und Sandra Ortmann (Schwules Museum), wurden dazu eingeladen, ihre Expertise zu Antidiskriminierung und strukturellen Veränderungsprozessen im Kultur- und Bildungsbereich einzubringen. Aus diesen zwei Treffen ergaben sich drei Themenfelder:
1) KOLLABORATION: Wie können Institutionen mit aktivistischen Organisationen zusammenarbeiten, um über eigene interne Muster und Strukturen hinauszugehen und diverse Zielgruppen zu erreichen?
2) NACHHALTIGKEIT: Wie können institutionelle Transformationsprozesse, die zum Umdenken und Neu-Lernen Zeit brauchen, angestoßen und nachhaltig gesichert werden?
3) RECHENSCHAFTSPFLICHT: Wie können Bildungs-, Kultur-, und Förderinstitutionen in die Verantwortung genommen werden, so dass sie strukturell und personell nach den rechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes Art. 3, des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, des Berliner Landesantidiskriminierungsgesetzes sowie des Landesgleichstellungsgesetzes handeln?
Diese Themen und Fragen flossen in die Artist-Training-Lab-Gespräche ein und wurden mit weiteren Gästen vertieft: Vicky Truong (#Mygration Deutschland Festival), Dieu Hao Do (Berlin Asian Film Network), Kathrin Peters (Kommission für Chancengleichheit der UdK Berlin), Dalís Pacheco (Interflugs der UdK Berlin), Natascha Nassir-Shahnian (Diversitätsentwicklung Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung) und Kate Brehme (Diversity Arts Culture, Berlinklusion). Zu den Gesprächen eingeladen wurden Mitglieder des Artist Training Teams, die Netzwerke zur Chancengleichheit an der UdK Berlin sowie die Partner*innen des Artist Training aus Babelsberg, Hamburg und Hannover.
Der Austausch mit den neu gewonnen Expert*innen zeigte einerseits, dass es konkrete, bestehende strukturelle Ausschlussmechanismen gibt, von denen viele Akteur*innen und Aktivist*innen aus dem Bildungs- und Kulturbereich berichten und andererseits, dass es mittlerweile zahlreiche Bemühungen gibt, die Kulturlandschaft zugänglicher zu machen.
In der Gestaltung des Fachtages ARTIST CAREER FORUM II war es Chang Nai Wen und der Programmleitung, Dr. Melanie Waldheim, wichtig, dass der Ist-Zustand aus den verschiedenen Blickwinkeln von institutionell Beschäftigten, Freischaffenden und aktivistisch Praktizierenden dargestellt wird, um konkrete Maßnahmen zur Transformation im eigenen Arbeitskontext zu erläutern. Im zweiten Schritt sollten Ideen, Praxiserfahrungen und Bedürfnisse der verschiedenen Vertreter*innen gesammelt werden, um aus allen Beiträgen Handlungsempfehlungen zur Veränderung entwickeln zu können. Im dritten Teil des Fachtages stand die Frage im Mittelpunkt, wie solche Transformationsprozesse nachhaltig gefördert werden könnten.
Inhalte des Fachtags
Zum Fachtag wurden vier Moderatorinnen eingeladen, um drei Panel mit Input und Workshops zu gestalten. Hinzu kamen Panelistinnen, die alle im Bereich der Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie innerhalb der freien Szene verortet sind und die verschiedenen Sparten des Artist Trainings (Musik, Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Film) abdecken. Zur besseren Strukturierung gab es zwei verschiedene Themenblöcke.
Als gemeinsame Arbeitsgrundlage des Fachtags wurde folgendes erläutert: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) setzt zum Ziel: „[…] Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.”
Folgende Fragen im Community Wall trugen dazu bei, dass sich die Teilnehmer*innen besser kennenlernen konnten: „Was tun Sie aktuell für die Diversität, Gleichstellung und Inklusion im Transformationsprozess des Kultur- und Bildungsbereichs?“ und „Was möchten Sie gerne in Zukunft für die Diversität, Gleichstellung und Inklusion im Transformationsprozess des Kultur- und Bildungsbereichs erreichen?“
Den Themenblock A „Exklusiv-Inklusiv” moderierte ManuEla Ritz – Coach und Autorin aus Berlin. Dieser behandelte die Ausschlussmechanismen in Kultur- und Bildungseinrichtungen mit Inputs von Vertreterinnen der UdK Berlin sowie des Kooperationspartners Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, Susanne Foidl, den freiberuflichen Künstlerinnen aus den Bereichen Tanz und Film, Jana Zöll und Sina Ataeian, und der ehemaligen Antidiskriminierungsbeauftragten des Senats für die Berliner Schule, Saraya Gomis.
Dirk Sorge und Kate Brehme übernahmen den Themenblock B „Accessibility”. Beide sind Initiatorinnen des Berliner Netzwerks Berlinklusion, das sich für die Zugänglichkeit im Kunst- und Kulturbetrieb einsetzt. Für den Block B standen die offenen Zugänge in Arbeitsprozessen von Kultureinrichtungen im Fokus. Inputs gaben für die Sparte Theater Leyla Ercan vom Staatstheater Hannover; für verschiedene Berliner Ausstellungshäuser / Gedenkstätten Murat Akan; für das internationale und spartenübergreifende Produktionshaus Kampnagel in Hamburg Nadine Jessen; für einen selbst initiierten Verein für Bildende Künstlerinnen aus dem arabischen Raum Khaled Barakeh von coculture in Berlin, und für die Freie Szene die Tänzerin und Choreographin Olivia Hyunsin Kim.
Eylem Sengezer moderierte die Abschlussrunde zur inklusiven Finanzierung. Sie verantwortet bei „Diversity Arts Culture“ den Bereich Institutionen und konzipiert Angebote und Maßnahmen zur Diversifizierung des Berliner Kulturbetriebs. Außerdem eingeladen waren Joshua Kwesi Aikins und Lucienne Wagner von „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership, Citizens For Europe“, um ihre neueste Studie zu „Vielfalt im Film“ vorzustellen und deren Ergebnisse zum Abbau von Barrieren zu erläutern.
Schlussendlich blieb die Frage zu beantworten: „Wie entstehen auf dem Fachtag Räume, sodass die Teilnehmenden ihre Meinungen offen äußern können?” Transparenz und Respekt waren Stichworte für die Beantwortung dieser Frage. Wünschenswert ist es, den Fachtag als einen Ort des gemeinsamen Lernens zu verstehen, an dem Handlungsempfehlungen für Kultur- und Bildungseinrichtungen entwickelt werden.
Außerdem richteten die Veranstaltenden den Blick fragend nach innen. Folgende Werte wurden für einen gemeinsamen Austausch vorgeschlagen, zu dem alle Teilnehmenden eingeladen wurden, sich dazu einzubringen:
- Raum für gleichberechtigte und offene Diskussionen schaffen
- Mehrere Wahrheiten wertschätzen – alle Erfahrungen sind wertvoll
- Aktives Zuhören praktizieren – auf den*die Sprecher*in konzentrieren, verbale und nonverbale Zeichen des Interesses zeigen, nicht urteilen, dem*der Sprechenden Zeit geben etwas zu erläutern
- Aus dem „Ich“ heraus sprechen, nicht im Namen anderer
- Achtsamkeit – bei Bedarf um eine Pause bitten, Bedürfnisse ausdrücken
- Dem Ableismus* entgegenwirken – Achtsamkeit für andere und die Gruppe in alles, was wir tun, einbeziehen (*Definition des Oxford-Wörterbuchs: Ableismus ist die Diskriminierung zugunsten körperlich uneingeschränkter Menschen)
Insgesamt gestalteten 70 Personen den Fachtag ARTIST CAREER FORUM II als Expertinnen oder Teilnehmende mit. Das Angebot richtete sich insbesondere an Vertreterinnen von Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Förderinstitutionen.